Herber 0:2-Rückschlag für Stepis Hoch-weit-Taktik
Offenbach. Können sie nicht, wollen sie nicht, oder dürfen sie nicht
besser spielen? Nachdem sich die Kickers am Samstag mit dem 0:2
gegen den FC Schweinfurt 05 im vierten Heimspiel die dritte
Niederlage geleistet haben, bahnt sich auf dem Bieberer Berg ein
Streit um die Taktik an. Trainer Dragoslav Stepanovic und die
Mannschaft haben unterschiedliche Meinungen zum neuen
Spielsystem, mit dem die Kickers zwei glückliche Siege gegen
Pfullendorf und die VfB-Amateure feierten, mit dem sie aber am
Samstag hilflos untergegangen sind und 7500 Zuschauer enttäuschten.
Nach den Niederlagen gegen die Bayern-Amateure und Mannheim
hatte Stepi seine Defensivtaktik ausgeklügelt. Die Abwehrspieler
haben die Anweisung, alle Bälle sobald wie möglich hoch und weit
nach vorne zu schlagen. Selbst Torwart Thier darf den Ball nicht
abwerfen, sondern muss ihn weit nach vorne treten. Englisches
Kick-and-rush in Vollendung.
Stepis Begründung: Die Kickers sind derzeit nicht in der Lage, den
Gegner zu kontrollieren und sich mit spielerischen Mitteln zu
behaupten. Deshalb soll der Ball möglichst weit weg vom eigenen
Tor. Sicherheit zuerst. Das heißt auch, ein Ausputzer, der die
Mittellinie nicht überschreiten soll, und zu den Manndeckern noch
zwei defensive Mittelfeldspieler. Womit im Spiel nach vorne jeder
Überraschungseffekt für den Gegner ausfällt. Mit Eckbällen,
Freistößen und weiten Einwürfen erhofft sich Stepi gefährliche Situationen.
Diese gegen die VfB-Amateure erfolgreiche Taktik sollten die Kickers
auch im Heimspiel gegen Schweinfurt umsetzen. Das führte zu den
paradoxen Szenen, dass die zwei wohl kleinsten Regionalligastürmer,
Schindler und Saridogan, pausenlos (und vergeblich) hohen Bällen
hinterherjagen mussten, und das gegen Abwehrspieler, die einen
Kopf größer waren. Die Kickers verzichteten freiwillig auf Ballbesitz.
Konstruktiver Spielaufbau - Fehlanzeige. Der erhoffte Ideengeber
Speth hatte in der ersten Halbzeit vielleicht zehn Ballkontakte, weil
die meisten Bälle nur über die Köpfe der Mittelfeldspieler
hinwegflogen. Von Kurzpassspiel oder Doppelpässen keine Spur. Spiel
über die Flügel gab es nur in Ausnahmefällen.
Die Mannschaft ist mit diesem Spielsystem unzufrieden und nimmt es
offensichtlich nur widerwillig an. "Das hat mit Fußball nichts zu tun",
mäkeln Spieler über das taktische Korsett, in das sie gezwängt werden.
Allerdings kamen die Kickers mit dieser "Hoch-weit-Taktik", wie es
ein Spieler nannte, zu den ersten Saisonsiegen, auch wenn die Art
und Weise alles andere als anschaulich war. Doch der Erfolg
rechtfertigt (fast) alle Mittel. Das erste Aufbegehren vor dem
VfB-Spiel hatte Stepi schnell "abgebügelt". "Ich führe die
Mannschaft", bekamen die Spieler zu hören.
Nach dem 0:2 gegen Schweinfurt dagegen werden die kritischen
Töne aus der Mannschaft lauter. Dazu stößt Stepis Kritik ("Die
Mannschaft wehrt sich nicht") den meisten Spielern sauer auf. Doch
Manager Klaus Gerster will von Diskussionen über Taktik nichts
wissen. "Die Mannschaft hat nicht das Recht, auch nur eine
Sekunde über die Systemfrage nachzudenken. Wer das tut, sollte
gleich seinen Vertrag abholen. Der Trainer macht es genau richtig."
(Von Jochen Koch, OFFENBACH-POST)
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