Das Pulverfass Bieberer Berg
Kickers Offenbach beruft nach Blamage gegen Wehen Krisengipfel ein und wird wohl wieder Spieler aussortieren
Irgendwann, Dragoslav Stepanovic hatte sich das ganze Elend noch einmal im
Fernsehen angesehen und daraufhin beschlossen, den Frust über die 1:2-Pleite
gegen den SV Wehen mit zwei Pils runter zu spülen, zuppelte ihn Waldemar Klein,
Ehrenpräsident und wie kein anderer Kickers Offenbach verkörpernd, am
Hemdsärmel. "Stepi, so geht das nicht weiter", flüsterte er in des Trainers Ohr,
"solche Spiele können wir uns nicht mehr erlauben, sonst spielen wir bald vor 2000
Zuschauern." Der 52 Jahre alte Coach, gezeichnet von der neuerlichen Blamage
und scheinbar um Jahre gealtert, ist natürlich lange genug im Geschäft, um sich
dessen bewusst zu sein, nur ruhigen Gewissens Besserung versprechen konnte er nicht.
"Das war das schlechteste Spiel, seit ich hier bin", hatte Stepanovic zuvor gesagt,
"das hat mich schwer mitgenommen, ich bin betroffen." Was Wunder ? Von fünf
Heimspielen haben die Kickers sage und schreibe vier verloren, die Gegner, wie
jetzt der SV Wehen, angereist mit der höchst zweifelhaften Empfehlung von null
Punkten in vier Auswärtspartien, reiben sich die Hände, wenn sie am Bieberer Berg
spielen dürfen, aus der einst so gefürchteten, angeblich mal uneinnehmbaren
Festung ist eine Lachnummer geworden. Das stinkt besonders Manager Klaus
Gerster, der Bedenken hat, "auf diese Weise auch noch den letzten Zuschauer zu
vergraulen". Stepanovics Angst, einem Heimkomplex zu erliegen, ist indes
unbegründet, die Kickers haben schon einen.
Vor allem spielerisch kam das OFC-Gekicke abermals einem Offenbarungseid
gleich, da wurden die Bälle gnadenlos durch die Gegend gebolzt, plan- und kopflos
angerannt, und wundern sollte sich daher auch niemand, dass dem
zwischenzeitlichen Ausgleich von Nazir Saridogan ein Befreiungsschlag über 70,
80 Meter von Stefan Simon vorausging. Im Spielaufbau, räumte Stepanovic ein,
hapere es gewaltig, er habe keinen Spieler im Team, der "zündende Ideen" habe,
keiner sei in der Verfassung, einen entscheidenden Pass in die Tiefe zu spielen, für
ein überraschendes Moment im Spiel sorgen. "Das ist", sagte der Trainer, "einfach
zu wenig." Häme und Spott sind die Offenbacher schon gewohnt, aber dass nun
auch noch die Gegner, wie Wehens Mittelfeldspieler Sascha Amstätter, sagen, wie
schwach die Fußballer aus Offenbach seien, hat noch mal eine andere Qualität.
"Ich habe von denen viel mehr erwartet, da spielt jeder für sich, aber nicht
miteinander." Amstätter hat damit, en passant, den wunden Punkt getroffen, die
Kickers spielen wie eine Ansammlung saturierter, müder Fußballer, denen der
letzte Biss, das Feuer, die Leidenschaft fehlt. Die Mannschaft ist überaltert, es
fehlt ein Führungsspieler, der die anderen mitreißt, auch in schwierigen Zeiten
vorneweg marschiert und die Ärmel aufkrempelt. In der Regionalliga seien
hemdsärmelige Arbeiter, hungrige Spieler, "echte Kerle" gefordert, sagte
Stepanovic, von dieser Sorte habe er zu wenig. So ähnlich sieht es auch Manager
Gerster: "Jeder einzelne Spieler muss sich schwer überlegen, ob er nicht rot
anläuft, wenn er am Monatsende seinen Scheck abholt."
In Stepanovic scheint daher, auch wenn er es nicht sagt, die Erkenntnis gereift zu
sein, dass diese Mannschaft keinen Deut besser als ihr Tabellenplatz ist, dass er
mit diesem Team nicht mehr oben angreifen kann und der Wiederaufstieg reine
Utopie ist. Ein offizielles Statement verkniff sich der Serbe diesbezüglich. "Ich
werde nicht über Dinge reden, die ich mir nicht genau überlegt habe", erklärte er,
"wenn ich eine Entscheidung treffe, muss es die richtige sein." Dabei gehe es,
betonte er, nicht um seine Person, sondern um die Mannschaft.
Am gestrigen Sonntagabend trafen sich das Präsidium, der Manager und der
Trainer zu einem Krisengipfel (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet), in dem
die Weichen für die Zukunft gestellt wurden. Die Verantwortlichen, so Gerster
vorher, müssten eben überlegen, ob es ratsam sei, die Ziele neu zu definieren und
wie es überhaupt weiter gehen soll. Neue Spieler, die der Trainer vehement fordert,
stünden nicht zur Debatte. "Wir überlegen eher, ob wir noch den einen oder
anderen aussortieren." Erste Kandidaten sind Matthias Becker und Tom Stohn.
Zudem fragte sich Gerster, "ob es nicht sinnvoll ist, Spieler aus der zweiten
Mannschaft zu integrieren, damit wir endlich wieder eine Einheit werden". Ob
Stepanovic damit zufrieden ist, darf bezweifelt werden, denn es wäre ihm, so steht
zu vermuten, lieber, alles auf eine Karte zu setzen, nochmals auf dem
Transfermarkt zuzuschlagen und volles Risiko zu gehen. Wenn er sagt, "ich kann
doch nichts dafür, dass hier vorher versäumt wurde, auszusortieren", und er als
Trainer noch nie ohne ein konkretes Ziel gearbeitet habe, lässt das tief blicken und
drauf schließen, dass der Bieberer Berg ein Pulverfass bleiben wird.
(Von Ingo Durstewitz, FRANKFURTER RUNDSCHAU)
OFC ohne Kreativität, aber mit Komplexen
Offenbach. Frust, eine ordentliche Portion Resignation und noch mehr
Ratlosigkeit prägen die Situation bei den Offenbacher Kickers nach
dem 1:2 gegen den SV Wehen: "Ich habe eine Mannschaft selten so
niedergeschlagen gesehen", berichtete OFC-Trainer Dragoslav
Stepanovic aus der Kickers-Kabine. Er selbst sei "einer, der von
morgens bis abends für seinen Job arbeitet. Aber für was arbeite ich
hier, wenn nichts bei rauskommt?" Und die Zuschauer? Sie kamen
nach dem 1:0 des OFC in Aalen mit Euphorie, sie gingen mit großer
Enttäuschung. Bemerkenswert: Nach der Niederlage im Derby gab's
nicht einmal mehr Pfiffe - Lethargie an allen Orten?
Knapp 6000 interessierten sich am Samstag noch für den OFC.
Offenbacher Minusrekord in dieser Regionalliga-Saison. Auch
deswegen trafen sich Präsidium und Stepanovic gestern Abend zum
Krisengipfel. Frage: Was kann der Verein tun? Wie kann er sich
gegen die Einstellung mancher Spieler wehren? Der Griff ins
Portemonnaie der Spieler als Konsequenz des Klubs?
Gehaltskürzungen sind nach Aussage von Manager Klaus Gerster kein
Thema, "auch wenn manch einer rot werden müsste, wenn er seinen
Gehaltsscheck abholt". Gespräche über Vertragsverlängerungen wird
es aber mit Sicherheit auch nicht geben. Will das Präsidium die
Situation nüchtern analysieren, muss es fragen, welche Fehler die
Vereinsführung bei der Zusammenstellung des Kaders gemacht hat.
Fakt: Das Vertrauen in die Absteiger aus der Zweiten Liga war zu
groß. Stepanovics Meinung wird deutlich, wenn er sagt: "Ich kann
nichts dafür, wenn nicht aussortiert wurde."
Kalte Jahreszeit bei Kickers?
Der OFC spielte gegen Wehen ohne Kraft und Konzept; kein
Aufbäumen war zu erkennen. Mit Manfred Binz (kam nach 15
Minuten für den verletzten Dworschak), Tom Stohn und Oliver Speth
standen in der zweiten Halbzeit sogar drei Kreativkräfte auf dem
Platz - und es kam trotzdem nichts.
Mit einem Sieg wollte Offenbach den Anschluss an die Spitze
schaffen. Kurzes Fazit: Ziel verfehlt. Nun bleibt nur der Blick nach
unten und der Hinweis auf die Winterpause als Chance zum
Neuanfang. Ganz so weit wollte Nazir Saridogan einen Tag nach
Herbstanfang und der verdienten Niederlage gegen seinen Ex-Klub
nicht blicken: "Wir dürfen jetzt nur von Spiel zu Spiel schauen."
Solche Worte sind von Vereinen bekannt, die tief in einer Krise
stecken. Aber kein anderes Wort beschreibt die Situation bei Kickers
besser. Dazu passte, dass Saridogan wegen einer Unsportlichkeit
("Schwalbe") nach 87 Minuten die gelb-rote Karte sah und nun am
Samstag in Jena fehlt. Dabei war der Angriff noch der agilste und
beste Mannschaftsteil - auch wenn Marcio nur die Latte traf (27.)
und das 1:1 durch Saridogan ein Zufallsprodukt war. Missverständnis
zwischen Köpper und Kolinger, Kickers unter Druck. Simon drischt
den Ball aus dem OFC-Strafraum; Konter durch Saridogan, der Sauer
davonläuft; Wehens Torwart Lache, eigentlich in der
Vorwärtsbewegung, verschätzt sich, zögert - 1:1 (80.). Kickers
scheinen auf dem Weg zum nicht mehr erhofften Punkt, nachdem
Melunovic in der 52. Minute nach schöner Vorarbeit von Wilde und
Amstätter für die Führung der Gäste sorgte.
Schlussphase, dem OFC flattern die Nerven: Libero Dolzer patzt im
eigenen Strafraum, Torwart Thier lenkt den Ball nach Naciris
platziertem Schuss um den Pfosten (84.). Sekunden später: Ecke
Sauer, Thier fliegt vorbei, Guht verlängert und Bunzenthal köpft ein
- 1:2 (86.). Eine Minute später sieht Saridogan gelb-rot. Die vierte
Heimniederlage des OFC ist perfekt - und der erste Auswärtserfolg
der Wehener auch. Sie benötigen dafür vier Versuche. Keine
Zweifel: Kickers haben einen Heimkomplex - und drei Tage nach
Herbstanfang beginnt in Offenbach schon jetzt die kalte Jahreszeit.
(Von Martin Batzel, OFFENBACH-POST)
Kolinger & Co. Ideenlos
Zweitligaabsteiger Kickers Offenbach musste nach einem leichten Aufwärtstrend
von neun Punkten aus vier Spielen einen erneuten deftigen Rückschlag
hinnehmen. Der SV Wehen feierte im Hessenderby seinen ersten Auswärtssieg
der Saison. Trainer Gerd Schwickert hatte seine Schützlinge zunächst
eingeschworen, verstärkt auf Defensivarbeit zu setzen.
Offenbach hatte zwar die größeren Spielanteile, doch die Mängel im
Spielaufbau waren zu eklatant. Nur Dubravko Kolinger und Marcio, der den Ball
an die Latte setzte, hatten gute Möglichkeiten für den OFC. Besser dann die
Wehener nach dem Wiederanpfiff: Sascha Amstätter versetzte die
Kickers-Abwehr, und Ermin Melunovic schob zur SVW- Führung ein. Ein weiter
Befreiungsschlag von Stefan Simon, den Nazir Saridogan übernahm und zum
Anschluss nutzte, brachte dem OFC nur kurze Hoffnung. Denn fünf Minuten vor
Schluss machte Oliver Bunzenthal alles klar für den SV Wehen. Der selbst
ernannte Aufstiegskandidat Kickers Offenabch etabliert sich vorerst im unteren
Tabellendrittel.
(Von Holger Kliem, KICKER ONLINE
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