FULDA. Der Mann mit dem Fernsehmikrofon in der Hand konnte die Stirn noch so in Falten
legen, Ramon Berndroth blieb standhaft. Auch von wiederholten Nachfragen des
zusehends ungläubig dreinblickenden Moderators ließ sich der Trainer der Offenbacher
Kickers nicht beirren, er erzählte seine kritische Sicht der Dinge: "Wir wollen
uns in der Regionalliga etablieren. Nicht mehr und nicht weniger." Für einen
Fußballverein, der sein Heil vor nicht allzu langer Zeit einzig und allein in
der Zweiten Bundesliga gesehen hatte, sind das bescheiden anmutende Töne. Doch
bei jeder Anspielung auf den gewachsenen Anspruch seiner Mannschaft nach dem
zweiten überraschenden Auswärtserfolg war der Fußballehrer ähnlich geschickt
wie zuvor sein Stürmer Patrick Würll, der ein einziges Mal eine Lücke in der
Borussen-Abwehr fand und den 1:0 Sieg in Fulda sicherstellte (83. Minute).
Berndroth verwahrte sich auch im mobilen Sendestudio des Hessischen Rundfunks
gegen jede Form keimender Maßlosigkeit, auch wenn sie in unverfänglichen Ton
vorgetragen wird. Daß die Botschaft seiner Worte den Mann vom hessischen Sender
nicht erreichte, störte Berndroth kaum. Daß die Kommunikation zwischen dem OFC
und der einzigen Fernsehanstalt mit Ursprung und Hauptsitz in Hessen gegenwärtig
nicht reibungslos funktioniert, ist allen Mitwirkenden bewußt, doch Berndroth
wollte das Mißverständnis nicht überbewerten: Wichtig ist sowieso nur, daß meine
Spieler mich verstehen." Der OFC steht nach fünf Spielen und dem Sieg in Fulda
unerwartet prächtig da; vorübergehend gar auf dem zweiten Platz - ein Rang, der
am Saisonende zum Aufstieg berechtigen würde. Doch daran verschwende niemand
am Bieberer Berg einen Gedanken versicherte Berndroth. "Aus der Vorsaison", erzählte
er "haben wir unsere Lektion gelernt." Mittlerweile gehe der OFC "bejahend" an
die Drittklassigkeit heran, verfange sich nicht mehr in Träumereien wie in der
Ära von Klaus Gerster, als Gegnern aus der Provinz "nicht mit dem nötigen Respekt"
begegnet wurde. "Das soll nicht heißen, daß es in Offenbach keine Visionen mehr
gibt, aber wer heute Fulda nicht mehrfach analysiert, bekommt fünf Tore eingeschenkt."
Sein Personal habe die neuen Anforderungen verinnerlicht und die Partie in Osthessen
mit dem nötigen Ernst bestritten; sich gewissenhaft vorbereitet wie am Finaltag
der Vorsaison, als in letzter Minute der Klassenverbleib gesichert wurde. "Wir
haben das gleiche Heusenstammer Hotel wie seinerzeit vor dem Spiel in Regensburg
bezogen", berichtete Berndroth. Daß die Honoratioren später im Fuldaer VIP-Zelt,
wo die Pressekonferenz abgehalten wurde, von einem "zufälligen Kickers-Sieg"sprachen,
wollte er nicht stehenlassen: Was wie Zufall aussah, war harte Arbeit." Das Tor
im Anschluß an einen von Thorsten Becht getretenen und von Mounir Zitouni per
Kopf verlängerten Eckball sei Resultat eines zweistündigen Extratrainings während
der Woche gewesen. "Wir hatten die Situation tausendmal einstudiert", sagte auch
Torschütze Würll. Der Aufwand hat sich gelohnt. Mit Fulda wurde nach Berndroths
Worten ein unmittelbarer Konkurrent auf Distanz gehalten. "Heute haben wir schon
elf Punkte eingespielt, vergangenes Jahr hatten wir gerade mal vierzehn nach
der gesamten Hinserie - ich denke, das spricht Bände", sagte er zufrieden. Freilich
hätte die Mission in Osthessen scheitern können, wenn die Borussia ihre Großchancen
verwertet hätte. "Es war unser bisher schlechtestes Saisonspiel", lautete die
realistische Einschätzung von Präsident Dieter Müller.
Die Kickers, vielleicht zum ersten Mal in dieser Runde als Favorit aufgelaufen,
hatten Probleme, die Erwartungen spielerisch zu erfüllen. Im ersten Abschnitt
liefen sie meistens dem Gegner hinterher, kaum ein Paß fand einen Abnehmer, nur
durch Foulspiele wußte man sich aus der Bredouille zu helfen, und die Kickers
konnten von Glück sagen, daß die Fuldaer Alexander Schuster (4.), Thomas Winter
(10.), Steven Haßler (24. Und 37.) sowie Adam Veapi (35.) beste Möglichkeiten
nicht nutzten. Wir hatten riesige Problem im Mittelfeld", bekannte Berndroth.
Ein Mann, der die Defizite künftig möglichst beheben soll, saß in Fulda schon
in Sportbekleidung auf der Bank, ist aber erst ab dieser Woche für seinen neuen
Klub einsatzberechtigt: Oscar Corrochano. Der in Hanau geborene Spanier war zuletzt
für den SV Darmstadt 96 tätig, wollte im Sommer zum spanischen Zweitligaverein
Gymnastic Tarragona wechseln, doch der Transfer platzte in letzer Sekunde. Seitdem
hielt sich der vierundzwanzigjährige bei den Amateuren der Frankfurter Eintracht
fit. In den vergangenen drei Wochen spielte er bei den Kickers vor - und überzeugte.
"Ich kenne die Regionalliga aus achtzig Spielen, der Trainer hat mir gesagt,
daß meine Stärken im offensiven Spiel dem OFC weiterhelfen." Mithelfen wird am
Sonntag gegen Eintracht Trier auch wieder Manfred Binz. Der Fahrensmann unter
lauter Jungspunden war gegen Fulda nach zehn Minuten und einem Kopfstoß von Haßler
kurz bewußtlos, rappelte sich aber auf und marschierte über neunzig Minuten vorneweg.
"Er hat sich ein Extralob verdient", verkündete der Trainer. Daß ihm selbst der
Erfolg in Fulda schmerzhaft in Erinnerung bleiben wird, wollte Berndroth nicht
überbewerten. Ein Fan der Kickers hatte den Trainer im Überschwang des Siegesgefühls
derart heftig geherzt, daß sich seine alte Rippenblessur bemerkbar macht und
Berndroth kurz zu Boden zwang. Doch der sportliche Erfolg der Kickers erhöht
die Leidensfähigkeit. Auch unbehagliche Fragen lassen sich dadurch gelassener ertragen.
"Hoffenheim oder Kickers Offenbach. Gibt es da was zu überlegen?"
Dem umworbenen Oscar Corrochano fiel die Wahl des Arbeitsplatzes leicht: Künftig
stürmt der frühere Darmstädter für die Elf vom Bieberer Berg