Nach dem 2:0 beim VfB wollen die Kickers mit der Heimkundschaft Doppelpaß spielen
Der OFC wird mutig: "Aufstieg nur über uns"
STUTTGART. Das sind ja ganze neue Töne. "Der Aufstieg geht nur über uns", hörten die Zuschauer Ramon Berndroth am Samstag in das Mikrophon des Südwestfunks sagen. Das Gastspiel seiner Offenbacher Kickers bei den Amateuren des VfB Stuttgart war gerade mit 2:0 über die Bühne gegangen. Ein paar mitgereiste Fans riefen nochmals herzhaft "Kickers", in VfB Kreise normalerweise ein Reizwort, und machten sich auf den Heimweg. Das sind ja schöne Aussichten. Erfolge in der Fremde werden als "Arbeitssieg" abgehakt und die kommende Weihnachtsfeier des momentanen Tabellenzweiten der Regionalliga Süd wird als "Nichtsabstiegsfeier" tituliert.
Patrick Würll, der zweifache Torschütze vom Samstag, schickt dem Wort "Nichtabstiegsfeier" noch ein Augenzwinkern hinterher. Noch zwei Spiele sind es bis dahin in der Fußball Regionalliga Süd. Kommenden Samstag auf dem Bieberer Berg gegen VfR Mannheim, zum Abschluß des Jahres geht die Reise nach Elversberg. Was aber wird nach der Winterpause sein? Führt die Reise der Offenbacher Kickers dann tatsächlich Richtung Zweite Bundesliga? Im Spätsommer dieses Jahres war das Saisonziel tatsächlich mit dem Klassenverbleib abgesteckt. Aber nun ist es anders gekommen, und beim Thema Abstieg sind sie schon zum Scherzen fähig. Vor einem Jahr war das Stichwort bitterer Ernst. Inzwischen ist mit dem Punktekonto auch das Selbstbewu0tsein gewachsen. Für Reinhold Fanz, den Trainer des Stuttgarter Talentschuppens, machten das Selbstwertgefühl und die Cleverneß den entscheidenden Unterschied zwischen dem Tabellenvorletzten und dem Tabellenzweiten aus.
Mit ihrem in Stuttgart praktizierten Stil haben die Kickers keinen Schönheitspreis gewonnen, aber doch das Gefühl der gewachsenen Stabilität vermittelt. In der 30. Minute legten sie das 1:0 vor, versäumten es, die Führung noch vor der Halbzeitpause auszubauen, und konzentrierten sich danach auf Schadensvermeidung im eigenen Strafraum. "Von der Kraft her hätten wir so nicht weitermachen können", begründete Berndroth den gedrosselten Ehrgeiz in Richtung VfB-Tor. Die Taktik ging mit dem zehnten Saisontreffer des Torjägers Würll in der 80. Minute auf. So wichtig er auch war, entscheidend blieb die Abstimmung in der Abwehrarbeit, für die sich alle zuständig fühlt. Die Hauptlast teilten sich Dario Fossi, der den verletzen Manfred Binz nicht vermissen ließ. Lars Meyer, Mounir Zitouni und Dexter Langen. Kapitän Matthias Dworschak bildete die Schaltstation, stopfte Lücken im Abwehrverbund, sorgte dafür, daß die Räume, wie vom Trainer gefordert, "eng gemacht" wurden. Als Sturmspitzen wechselten Raffael Tonello und Würll einander ab.
Dem Torschützen des Tages war es fast peinlich, hinterher im Mittelpunkt zu stehen. "Weil jeder für jeden spielt" wollte er den Anteil an den drei Punkten auf alle gerecht verteilt wissen. "Tonello spielt sehr mannschaftsdienlich, sucht den Doppelpaß", bekam der Sturmpartner noch ein Extralob für die Vorarbeit zum Führungstreffer. Würll hätte auch Samir Naciri einbeziehen können oder Angelo Barletta, der im Mittelfeld eher unauffällig agierte. Das große Plus der in dieser Saison runderneuerten Kickers ist die Ordnung in den eigenen Reihen und die Spielfreude, mit der die Mannschaft Akkordarbeit verrichtet. Dabei ist sie, wie es Würll für seinen Teil empfindet, "eigentlich urlaubsreif". Der Franke plagt sich mit einer Sehnenentzündung herum und prophezeit "Es kommen mit Sicherheit auch Tiefs mit drei vier Spielen ohne Treffern."
Der nüchterne Realismus ist es, der diesen Kickers-Jahrgang von anderen unterscheidet. Da wird nicht schöngeredet, nicht geprotzt und schon gar nicht untereinander gemotzt. "Wir freuen uns auf das nächste Heimspiel", sagt Würll mit Blick auf den kommenden Samstag. Vor lauter Versagensängsten war das vor Jahr und Tag noch ganz anders. Zu Hause würden sie jetzt "auch gut nach vorne spielen, nachdem wir lange nur nach hinten spielen konnten", erinnert sich Würll. "Wenn die jetzt nicht kommen", sagt er an die Adresse der Zuschauer, ohne den Satz zu vollenden. Die Mannschaft geht also in die Offensive und legt es auf den Doppelpaß mit der Kundschaft an. Um jene Siegprämien, die die angespannte Finanzlage der Kickers zusätzlich strapazieren würden, hat Würll bei dieser Gelegenheit auch mal relativiert. "Die sind am untersten Rand der Regionalliga angesiedelt." Siege schaden somit nie.
(Von Hans-Joachim Leyenberg, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG)
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