Regionalliga-Süd Saison'97/98

Im Stile eines Tabellenführers spielten die Offenbacher Kickers gestern abend gewiß nicht. Wer aber fragt schon danach, wenn der Spitzenreiter der Regionalliga Süd weiterhin Offenbach heißt ? In jedem Fall herrschte nach dem 2:0 (0:0) gegen die jungen Amateure des FC Bayern München wieder einmal Rosenmontags-Stimmung. Im Mittelpunkt der rauschenden Sommernacht vor 12000 Fans (!) Offenbachs Frank Kastner, der in der 76. Minute für die erste Erlösung sorgte. Er trieb den Ball in die Bayern-Hälfte, riskierte aus 25 Metern einen Flachschuß, der die Grasnarbe streifte. Hand aufs Herz: Es war ein haltbarer Ball. Aber der 18jährige Bayern-Torwart Harald Huber ließ den Ball aus den Händen gleiten. Das Leder hoppelte aufreizend lange förmlich ins Tor. Irgendwie schrien die Zuschauer dem Ball hinterher, feuerten ihn an. Ein Spannungseffekt seltener Art !

Kastner-Auftritt Nr.2: In der 91. Minute feuerte er einen Freistoß ins Bayern-Tor – 2:0 ! Zuvor war der eingewechselte Islam Ispir von Klitzpera per Notbremse ausgeschaltet worden. Klitzpera bekam die Rote Karte und Kastner seinen totalen Triumph. Kastner hinterher: „Das ist der totale Wahnsinn, was hier abgeht. Eine phantastische Stimmung. Wir aber dürfen nicht abheben – momentan sammeln wir nur Punkte gegen den Abstieg.”

In der ersten Halbzeit kamen die Zuschauer nur selten auf ihre Kosten. Die jungen Bayern würgten die Kickers im Mittelfeld ab, gingen spritzig zur Sache. Fast keine Torchance für den OFC. Offenbachs Spitzen Roth und Simon lagen an der Bayern-Leine.

Aber auf dem Bieberer Berg gibt es auch immer noch eine zweite Halbzeit, in den „goldenen 50er Jahren” dazu noch die berühmte „Kickers-Viertelstunde”. An diese historischen 15 Minuten wurden die älteren unter den OFC-Fans wieder einmal lebhaft erinnert. Im Nu hatte der OFC seine Fans wieder hinter sich, als bei den Bayern langsam die Kräfte schwanden. Der OFC-Druck wurde riesig. Ausgelöst von Kastner, Günter Maier und besonders von Frank Methfessel, der mittlerweile seinen „Allgäu-Fan-Club” immer in Offenbach begrüßen kann.

Eine Note eins verdiente sich auch wieder Giersch, der sich beharrlich ins OFC – Team hineinkämpft, kaum mehr zu verdrängen ist.

Offenbachs Trainer Hans-Jürgen Boysen: „Klar, es war ein Arbeitssieg. Aber ich bin richtig stolz auf diese Mannschaft und die Zuschauer dahinter. Es war Geduld angesagt. In der zweiten Halbzeit haben wir den Druck verstärkt. Was ich heute nacht mache, weiß ich: Ich sitze zuhause vor dem Video-Text und schaue mir eine halbe Stunde lang die Tabelle an.”

So fröhlich war dem Bayern-Trainer Rainer Ulrich verständlicherweise nicht zumute: "Dem Schiedsrichter hat das Fingerspitzengefühl gefehlt. Es ist kein Wunder, daß dieser Mann von der Bundes- in die Regionalliga abstieg."

Des einen Freud', des anderen Leid. Hier ein deprimierter Bayern-Trainer, draußen hallten die Siegesschreie durch die Nacht. Die Kickers haben die „Fußball-Wolke 7” anscheinend im Dauer-Abonnement. Dafür sorgt auch ein Bernd Gramminger, der manchmal als ein Ein-Mann-Bollwerk fungierte. Er und Giersch mußten über eine Stunde höllisch aufpassen, denn die „unbekannten Bayern” im Angriff sahen nicht wie ein Tabellenletzter aus. Auch Libero Dolzer hatte am Anfang ein paar Orientierungsprobleme.

Die Kickers verdauen zur Zeit aber auch alles. Trainer Boysen lobte die Glanzzahl: „Dreimal 'zu null' hintereinander !” Dies spricht auch für einen souveränen Rene Keffel im Kickerstor. Und wenn der Oliver Roth mal nicht trifft, dann macht's der Frank Kastner aus der Ferne. Das Flutlicht der zweiten Halbzeit trug auch zur Kickers-Belebung bei. Über's Wochenende bleiben die Kickers alleiniger Tabellenführer. Erst am Dienstag spielt Reutlingen gegen Köln-Pokal-Killer Ulm.

Am kommenden Samstag müssen die Kickers zum SC Neukirchen in die Knüll-Kampfbahn. Da wird es mit der Samstagsruhe im idyllischen Marktflecken wieder einmal vorbei sein. Die Kickers kommen!

(Bericht aus der OFFENBACH-POST vom 16.08.97)