Regionalliga-Süd Saison'97/98

Hans-Jürgen Boysen ist ein Mann, der „immer versucht, positiv zu denken”. Als am Freitagabend immer mehr Leute anfingen, am 1:1 im Hessenderby beim SV Darmstadt 98 herumzumäkeln, weil die Offenbacher Kickers ein halbes Dutzend hundertprozentiger Torchancen vergeben hatten, lehnte sich der Trainer der Offenbacher Kickers in seinem Stuhl zurück und dachte laut positiv. „Natürlich können wir traurig sein, daß wir hier nicht gewonnen haben. Aber man muß das Positive sehen. Es war unser bestes Spiel, und wir haben zehn oder zwölf Chancen herausgespielt. Ich mache doch meinen Spielern jetzt nicht den Vorwurf, daß sie die Dinger nicht reingemacht haben.”

Den Vorwurf konnte er sich sparen, denn seine Spieler klopften sich selbst schuldbewußt auf die Brust und sahen das sechste Unentschieden nicht ganz so positiv wie der Trainer. Allen voran der überragende 19jährige Islam Ispir, der für Oliver Roth (Muskelverhärtung) kurz vor Spielbeginn in die Mannschaft gerutscht war. „Wenn ich noch ein oder zwei Tore gemacht hätte, wäre es ein sehr gutes Spiel gewesen”, wehrte der ehemalige Jügesheimer alle Glückwünsche ab, nachdem er die „Lilien-Abwehr” fast schwindlig gespielt hatte. Mit seinem Führungstor in der 5. Minute - herrliche Vorarbeit von Hartmann – eröffnete er ein erstklassiges Regionalligaspiel. Doch schon die 9. Minute offenbarte die Kickers-Schwäche und war einer von vielen Glücksmomenten für die Darmstädter. Zunächst hätte Dewitz nach seinem Foul an Hartmann nicht Gelb, sondern Rot (Notbremse) sehen müssen. Dann wehrte Kresic mit der ersten von acht Glanzparaden den schwachen Elfmetersehuß von Kastner ab.

Auch das umstrittene 1:1 durch Darmstadts Neuzugang Ottiji (siehe Bericht News vom 06.10.97) stoppte die Kickers nicht. In dem kampfbetonten Derby hatten die Gäste eindeutige spielerische Vorteile. „Unser bestes Saisonspiel”, urteilte Co-Trainer Stefan Groß. Hatten sich die Kickers in den zehn Spielen vorher ihre Torchancen oft erarbeitet, so spielten sie am Freitag die Darmstädter regelrecht aus. Einziges Manko – die Trefferquote. Ob Hartmann (40.), Maier (50./51.), Ispir (42./50./68.) oder der starke Dolzer (70.), sie alle scheiterten freistehend aus wenigen Metern am überragenden Kresic. „Der hat gehalten wie ein Geisteskranker”, verzweifelte auch Groß von außen fast am ehemaligen Dietzenbacher Torwart.

„Wir haben nur Kresic zu verdanken, daß wir nicht in Rückstand geraten sind. Es war sicher ein glücklicher Punkt für uns”, meinte ein sichtlich mitgenommener Lothar Buchmann, der schon zehn Minuten vor Spielschluß den Offenbacher Sturmlauf nicht mehr mitansehen konnte und in der Kabine verschwand. Obwohl die Kickers ihre stolze Serie (27 Punktspiele unbesiegt) verteidigten, waren die Spieler erstmals in dieser Saison unzufrieden. Die Enttäuschung von Methfessel („So viele Chancen und nur ein Punkt”), Kastner („Bei diesen Spielvorteilen müssen wir einfach gewinnen”) und Hartmann („Schade, daß es keine drei Punkte wurden”) ist aber auch der Beweis für eine erstaunliche Wandlung in Offenbach. Wer über ein 1:1 in Darmstadt wo auch die Spitzenteams Reutlingen, Burghausen und 1860 München nicht gewonnen haben - dermaßen „angefressen” ist, stellt andere Ansprüche an sich als ein „normaler” Neuling.

Seit Reutlingens 2:5-Niederlage am Samstag sind die Kickers als einzige Mannschaft in der Regionalliga unbesiegt. Der Frust über das 1:1 zeigt, daß die Spieler sich neue Ziele gesteckt haben – Zielrichtung nach oben. In den zehn Spielen vorher hat der OFC bewiesen, daß er kämpferisch und läuferisch mit den Spitzenteams mithalten kann. In Darmstadt traten die Offenbacher diesen Beweis auch mit spielerischen Mitteln an. Wenn jetzt noch die Trefferquote verbessert wird, sind die Kickers im Kreis der Aufstiegsaspiranten endgültig ein ernstzunehmender Kandidat.

(Bericht aus der OFFENBACH-POST vom 06.10.97)